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Mozart & Ich

Nach den Anfängen ihrer Karriere in Deutschland, war Julia Jones vier Jahre lang Chefdirigentin für Oper am Theater Basel. Seit 2002 ist sie freischaffend tätig und dirigiert häufig an den Wiener Opernhäusern so wie in den Opernhäusern in Genua, Frankfurt und Berlin (Staatsoper). Als gefragte Mozartkennerin, dirigierte sie bei den Salzburger Festspielen 2004 u.a. die »Entführung aus dem Serrail«.

Warum haben Sie nie an einem Wettbewerb
teilgenommen?

Ich habe mit dreiundzwanzig Jahren angefangen, zu arbeiten. Warum sollte ich einen Wettbewerb besuchen? Es ist besser, man lernt das gleich am Platz. Ich war erst Korrepetitorin, dann habe ich Dirigieren studiert und mich für eine Stelle beworben.

Haben Wettbewerbe für Sie einen zu hohen Stellenwert?

Jeder hat eine andere Vorstellung davon, wie er seine Karriere gestalten will oder sein Lebensziel. Manche wollen das mit einem Wettbewerb erreichen. Und es gibt andere so wie mich. Ich musste damals arbeiten, ich wollte arbeiten, ich habe eine sehr gute Stelle gefunden am Kölner Opernhaus und ich wollte einfach sofort etwas »machen«. Mein Beruf ist Machen. Operndirigent lernt man nur, wenn man vor dem Orchester steht.

Gab es in der Zeit Ihrer musikalischen Ausbildung Konkurrenz unter den Studierenden?

Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich begonnen, Klavier an der Chetham School of Music zu studieren, das ist die Internatsschule schlechthin in Großbritannien für begabte junge Musiker. Und man ist dort natürlich der Konkurrenz ausgesetzt. Für mich war nach einem Jahr klar, dass ich mich nicht mit den anderen Studierenden vergleiche, die technisch schon viel besser waren als ich und mit vierzehn schon ein Tschaikowsky-Klavierkonzert gespielt haben. Und ich habe für mich erkannt, dass ich gar nicht Konzertpianistin werden möchte. Ich möchte Musik mit anderen machen. Ich habe mich damals geweigert, einmal im Monat ein Konzert zu geben. Ich habe gesagt, nein, ich möchte begleiten. Und habe das durchgesetzt. Ich habe selbst erkannt, dass ich ein Talent in diese Richtung habe.

Wie kam es, dass Sie sich so eindeutig auf die Oper festgelegt haben?

Weil ich damals schon mit vierzehn in diesem Internat auf eigenen Wunsch angefangen habe, Sänger zu begleiten. Ich habe schon mit fünfzehn die großen Liederzyklen im Konzert gespielt, z.B. die Winterreise. Ich habe eine enge Beziehung zum Gesang gehabt und habe auch im Chor gesungen. Ich mag die menschliche Stimme sehr und arbeite auch sehr gern mit Sängern. Da kommt man automatisch zur Oper. Ich ging ans National Opera Studio in London, da musste man vorspielen, die haben mich genommen und das war dann die erste Begegnung mit den Opernhäusern.

Sie sind eine ausgewiesene Mozartkennerin. Haben Sie Mozart auch schon im Studium für sich entdeckt?

Das begann schon viel früher, auch als Kind, und dann später, als ich an der Musikhochschule viele Werke von ihm gespielt habe. Aber ich kann nicht in Worten ausdrücken, warum das so ist. Es gibt viele, die finden Mozart langweilig. Aber ich bin mir sicher, dass er ein Genie war und ich könnte nicht ohne Mozart leben. Wenn ich einen Komponist aussuchen müsste, mit dem ich lebe und sterbe, dann ist das Mozart. Aber ob ich ein Spezialist bin, da bin ich vorsichtig. Ich mache Mozart auf meine Art und Weise, andere führen ihn anders auf und das ist auch sehr, sehr gut. Und deswegen ist es wichtig, seine eigenen Fähigkeiten zu erkennen. Es gibt oft sehr viel Neid, und Konkurrenzkampf, sogar mit Mobbing. Als Dirigentin stehe ich alleine auf dem Podium – Gott sei dank – als Dirigent muss man eine gesunde Portion Egoismus haben. Aber als Musiker im Orchester zu sitzen, das ist oft wirklich schwierig. Da gibt es viel Neid – auch bei den Sängern. Manchen merkt man an, dass sie denken »Eigentlich müsste ich morgen an der MET singen, aber ich sitze hier im kleinen Opernhaus.«

Setzen sich die Guten denn immer durch?

Am Schluss kommt immer die Wahrheit raus. Es gibt schon einen großen Konkurrenzkampf der Veranstalter und Agenturen, die junge Nachwuchstalente groß herausbringen. Das hilft manchen jungen Musikern anfänglich sichern. Aber allein dadurch kommen sie nicht weit. Irgendwann kommt es raus, wenn es nicht reicht. Ich habe mit tollen Sängern und Solisten gearbeitet und das waren eigentlich immer bescheidene Menschen, die hart arbeiten, die es nicht nötig haben, sich zu beweisen und über Leichen zu gehen.       

 

Rico Gulda ist ein renommierter Pianist, Komponist, Dirigent und CD-Produzent und leitet den Künstlerischen Betrieb und die Dramaturgie am traditionsreichen Wiener Konzerthaus. Mit seinem sechs Jahre älteren Halbbruder Paul und Martha Argerich (beide ebenfalls am Klavier) gab er zahlreiche Konzerte zum Andenken an seinen Vater, den berühmten wie unkonventionellen Pianisten und Komponisten Friedrich Gulda. Ricos anderer Halbbruder David ist Manager im Motorsport.

Was haben Ihre Geschwister zu Ihrer musikalischen
Laufbahn
beigetragen?

Ich bin mit Geschwistern und als Einzelkind gleichermaßen aufgewachsen. Ich wuchs bei meiner Mutter Yuko in München auf. In den Ferien war ich sehr häufig mit meinem Vater am Attersee, das war sein Sommererholungsort. Dort war dann glücklicherweise sehr häufig auch mein Halbbruder Paul zu Besuch. Ich erinnere mich noch daran, wie Paul damals an seiner pianistischen Karriere gearbeitet hat, er hat dort in der Sommerfrische sehr viel geübt. Da hab ich sehr viel mitgehört und das war sehr anspornend und motivierend, und hat mir sehr viel gegeben.    

Haben Sie sich auch mit ihm verglichen?

Also, in einer Familie wie der unsrigen ... der Vater war ja sowieso unerreichbar und der ältere Bruder war sechs Jahre älter und auch viel weiter. Das wusste ich halt damals, der Vergleich ist offensichtlich gewesen.

Hat Sie die Musik denn einander näher gebracht?

Die Beziehung zum Vater war musikalisch geprägt, das stand bei ihm im Vordergrund und das war das, was man mit ihm teilen konnte oder nicht. Und da der Vater auch das Bindeglied zwischen mir und meinen Halbgeschwistern war, gab es auch da diesen starken Fokus auf die Musik, entweder als verbindendes oder weniger verbindendes Element, wie zum Beispiel bei meinem älteren Halbbruder David.

Was haben Sie durch diese Geschwisterbeziehung zu Ihrem Bruder Paul gelernt?

Ich habe sehr viel durch Beobachtung gelernt. Das jüngere Geschwisterkind beobachtet ja das, was das Ältere erlebt. Bei mir war das vor allem im Umgang mit dem Vater von Bedeutung. Und da sind unsere Wege schon sehr unterschiedlich verlaufen. Das hatte bei meinem Vater vielleicht auch mit Altersmilde zu tun, ich bin ja der Jüngste. Aber ich habe einige Konflikte auch schon antizipierend vermieden. Mein Vater konnte in konflikthaften Situationen sehr temperamentvoll und zornig werden.

Stand Ihr Bruder Paul künstlerisch auch stärker unter Druck, durch den erfolgreichen Vater?

Das kann ich nicht sagen, gefühlterweise vielleicht ja. Aber das müssen Sie ihn selbst fragen. Der Vater, den mein Bruder erlebt hat, war jedenfalls ein anderer als der, den ich erlebt hab. Er hat an ihm andere Phasen miterlebt, auch radikalere. Und: mein Bruder wuchs in Wien auf. Stellen Sie sich das mal vor: als Sohn von Friedrich Gulda in Wien aufzuwachsen. Das war ja etwas ganz anderes, als wie ich in Deutschland zu leben. Da war sein Ruhm nicht so zentral. Ich hatte es dadurch einfach leichter, schon rein geographisch oder vielleicht auch, weil ich der Jüngste war. Als ich dann zum Studium nach Wien kam, merkte ich, was für eine Rolle es da spielte, »der Sohn von Friedrich Gulda« zu sein.

Sie haben dann einen anderen Weg eingeschlagen als Ihr Bruder. Sie waren zwar auch als Pianist sehr erfolgreich. Aber heute sind Sie Musikmanager am Wiener Konzerthaus. Haben Sie vielleicht in Abgrenzung gegen den Vater, der eine Legende war und den bereits erfolgreichen Bruder die künstlerische Laufbahn nicht so intensiv weiterverfolgt?

Vielleicht, ja. Aber wenn dann, ist das unbewusst abgelaufen und war nicht so eine rationale Überlegung. Und das stand auch nicht im Vordergrund –  bewusst. Aber was unbewusst abläuft, das wissen wir ja nicht (lacht). Bewusst war das mehr getrieben von eigenen Bedürfnissen. Ich hatte das Gefühl, dass ich pianistisch viel erreicht hatte. Ich durfte hier im Konzerthaus mit den Wiener Philharmonikern auftreten, das ist schon das Beste vom Besten, was einem in Österreich passieren kann. Mich hat es dann immer mehr ins Management gezogen. Auch aus Interesse. Mein Wirken hier im Wiener Konzerthaus, da habe ich etwas gefunden, was mir wirklich auch liegt. Das passt jetzt. Eine bewusste Abgrenzung, das klingt zu hart, das entspricht nicht meinem Typ. Das hat ja eher etwas aktives. Ich denke, dass ich eine Menge Felder aus der Nähe betrachtet hab und auch mitgemacht hab und ich bin jetzt wo angekommen, wo es gut passt.

 

Tabea Zimmermann ist eine weltweit gefragte Solistin, Professorin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin und Leiterin der Beethovenwoche in Bonn. Zahlreiche Werke wurden ihr gewidmet, u.a. von Wolfgang Rihm und György Ligeti. Über Ihre Kindheit hat die Künstlerin ganz besonderes zu berichten. Unter den sechs Geschwistern war sie zwar nicht das Nesthäkchen, aber die Jüngste der vier Älteren.

Was haben Ihre Geschwister zu
Ihrer musikalischen Laufbahn beigetragen?

Extrem viel. Ich hätte nie im Alter von drei Jahren angefangen, Bratsche zu spielen, wenn nicht meine drei älteren Geschwister schon musiziert hätten.

Auch dass ich Bratsche spiele, kommt aus der familiären Situation. Cello, Klavier und Geige waren schon besetzt und andererseits war mein Wunsch riesig groß, bei den Geschwistern dabei sein zu können und auch zur Musikschule zu gehen. Ich wollte mitmachen.

Hat Sie das Ihren Geschwistern auch näher gebracht?

In unserer Familie gab es ein spezielles Cluster, was auch durch eine sehr stark religiöse Ausrichtung und pietistische Gemeinschaft geprägt war. Die Musik war, bei aller Strenge, die bei uns herrschte, der Bereich, der geistige Freiheit erlaubt hat. Mit meinen beiden Schwestern habe ich fünfzehn Jahre lang Streichtrio gespielt, in meiner Biografie vom fünften bis zum zwanzigsten Lebensjahr. Undzwar sehr intensiv. Das heißt wir waren sehr eng verbunden, auch als Partei gegen die Eltern. Wir haben unsere ganzen pubertären Krisen und Widersprüche gegen die Eltern über die Musik im Trio ausgefeilt und ausgearbeitet und das hat uns zusammengeschworen. Aber natürlich gab es auch Spannungen. Wir drei waren logischerweise nicht immer einer Meinung. Und das miteinander auszukämpfen, mit Ideen und Überredungskünsten, das mussten wir auch zu dritt lernen. Das war manchmal heftig.

Was haben Sie durch diese enge Zusammenarbeit fürs Leben gelernt?

Unheimlich viel, vielleicht bin ich sogar immer noch dabei zu lernen (lacht). Ich glaube, dass mein ganzes Verständnis, was Musik ausmacht, und wie man innerhalb eines Ensembles kommuniziert, davon extrem geprägt ist. Der Wunsch, sich in einer gemeinsamen musikalischen Idee individuell ausdrücken zu können, der wurde von diesen frühen Erfahrungen sehr geprägt. Die Idee des Familientrios hat unsere Musikschule damals allerdings nicht nur unterstützt. Weil sie der Meinung war, wir sind eh zu nah aufeinander. Wenn heute ein Geschwisterensemble zu mir als Lehrerin käme, müsste ich auch abwägen. Denn Familie und Musik, das kann auch zu nah werden.

Welche Gefahren sehen Sie darin?

Einseitigkeit. Denn das Spannende ist ja in allen Auseinandersetzungen, die wir als Heranwachsende haben, sich mit anderen Gedanken auseinander zu setzen, andere Denkweisen akzeptieren zu lernen. Das habe ich im Geschwistertrio vielleicht nicht so gut gelernt. Ich bin mit vielen Gedanken überhaupt erst in meinen Zwanzigern konfrontiert worden, weil das so ein enges Zuhause war.

Musizieren denn Ihre drei eigenen Kinder auch?

Sie musizieren lange nicht so zielgerichtet, wie das bei uns zuhause vorgegeben war und sich auch ergeben hat. Sie sind sehr musikalisch und haben Spaß an Musik. Aber ich kann mir gar nicht vorstellen, dass meine Kinder mal einen Beruf mit Musik wählen. Auch, weil es natürlich einen Unterschied macht, ob die Eltern Musik machen oder nicht. Wir hatten in unserer Generation das Glück, dass die Eltern keine Ahnung hatten und man sich als Kind damit auch positionieren konnte, dass man sagt: »Das ist meins, Ihr wißt überhaupt nicht, was ich da tue, haltet Euch lieber raus.« Das können meine Kinder mir natürlich nicht sagen und ich glaube, dass sie sich daher auch lieber andere Themen suchen werden.

Gibt es für Sie noch eine andere wichtige Facette, wenn Sie an das Musizieren in der Familie denken?

Das ist die Konkurrenz. Ich als Jüngere hab zum Beispiel in jedem Fall profitiert, aber ich weiß nicht, ob meine beiden Schwestern das auch so sehen würden. Ich war einfach von Anfang an die Erfolgreichste. Das lag sicher auch daran, dass ich mit der Bratsche auf einem unbeackerten Feld unterwegs war. Da gab es keine Altersgenossen, die das Instrument ähnlich gut spielen konnten. Was für meine Schwestern heftig war, war, dass sie sowohl die Konkurrenz der Altersgenossen aushalten mussten als auch dieses: »Da kommen die drei Schwestern Zimmermann und guckt Euch mal die Kleinste an.« Das hat viele Spannungen und auch Riesenauseinandersetzungen ausgelöst. Da muss ich heute als Lehrerin auch mitleiden, wenn da Geschwisterkinder unterwegs sind, die so in Konkurrenz zueinander stehen. Ich wär manchmal froh gewesen, man hätte mich auch mal als Mensch gesehen und nicht nur als die, die so toll Bratsche spielt.

Wer hatte es denn da bei Ihnen am schwersten?

ich glaube, das war meine geigende Schwester. Sie war die erste Stimme im Ensemble, aber ich als Jüngste hatte immer ne bessere Idee oder wußte, wie sie etwas anders besser machen könnte. Natürlich war ich furchtbar als jüngste Schwester. Diese Konkurrenz ist ein großes Thema in Familien. Ich glaube, man hat es als Jüngste am einfachsten: Man lernt aus den Fehler der Größeren gleich mit und sucht sich so seinen eigenen Weg. Für die Älteren ist das ganz schön fies. Mein großer Bruder hat wahrscheinlich am meisten gelitten. Schon allein, weil er als Klavierspieler die Aufgabe hatte, uns Schwestern immer zu begleiten.

 

Wenn es auch Sabine Meyer war, die uns in den 80er Jahren schlagartig klar machte, dass der schmeichelnde Klang unsere Aufmerksamkeit verdient, so gelang es Jörg Widmann eine halbe Generation später, dem Instrument die Tür in die Zukunft aufzustoßen. Er zeigte, wie perfekt zeitgenössische Musik und Klarinette zueinander passen. Der gefragte Solist ist Professor für Klarinette und Komposition an der Freiburger Hochschule. Sein jüngstes Musiktheaterwerk Babylon (2011/12) entstand im Auftrag der Bayerischen Staatsoper.

Herr Widmann, erinnern Sie sich an Ihre »erste Begegnung«
und Ihre »erste Liebe« zum Instrument Klarinette? 

Ich war in der ‚Musikalischen Früherziehung‘, wo uns Instrumente vorgespielt wurden. Bei der Klarinette bekam ich funkelnde Augen. Ich sagte meinen Eltern, dass ich genau ‚das‘ lernen möchte. Da war ich 7 Jahre alt.

Die Klarinette ist Ihre ewige Begleiterin geblieben. Was macht musikalisch den Reiz des Instruments aus?

Da wäre der Registerreichtum zu nennen, dass man in Baritonlage spielen kann, aber genauso auch Sopran sein kann. Der Tonumfang ist immens. Die Klarinette kann in der tiefsten Lage immer noch laut und präsent spielen. Bei der Flöte ist das begrenzt. Umgekehrt sind Oboen in extremen Höhen oder Tiefen in der dynamischen Ausgestaltung nicht mehr so flexibel. Das liegt in der Natur des Instruments und keineswegs am Solisten!

Sie hatten sich als junger Mann für das Klarinettenstudium entschieden, erst in München bei Gerd Starke, dann bei Charles Neidich an der Juillard School in New York. Warum der Wechsel?

Ich wollte nochmal was Neues kennen lernen. Vor allem am Anfang waren mir die Jazz-Tradition und die US-amerikanische Literatur wichtig. Eine meiner Kompositionen aus dieser Zeit, die Fantasie für Klarinette solo, wird heute weltweit von Studierenden gespielt. Ich habe das Werk mit 19 geschrieben. Es war meine Auseinandersetzung zwischen den zwei Klangwelten Klassik und Jazz.

Sie haben sich in Ihrer musikalischen Ausbildung auch bewusst für das Komponieren entschieden. Welche Rolle spielte hierbei das Instrument Klarinette?

Ich habe als junger Mensch auf der Klarinette viel improvisiert. Stundenlang. Oftmals habe ich mich am nächsten Tag geärgert, dass ich die schönen Stellen nicht mehr rekonstruieren konnte. So begann das Komponieren bei mir. Ich dachte damals, dass das Komponieren bedeuten würde, das Improvisierte aufzuschreiben. Das aber ist ein Irrglaube. Die Komposition ist viel komplexer.

Welche Bedeutung, welchen Rang nimmt Mozart für Ihre künstlerische Arbeit ein?

Das Ungeheure an Mozart ist, dass er das Klarinetten-Quintett und das Konzert in A-Dur annonciert. Aber die erogenen Zonen der Stücke, also die entscheidenden Passagen, stehen alle in Moll. Manche harmonische Wechsel ins Moll erzeugen bei Mozart eine plötzliche sanfte Stille. Das würde ich fast schon als ein Markenzeichen seiner Kompositionen bezeichnen. Diese Dialektik zwischen Dur und Moll und auch wie Mozart Dissonanzen einbringt und stehen lässt – das bewundere ich als Komponist sehr und als Solist gehe ich bei allen Interpretationen darauf ein.

Hat sich in den letzten Jahren etwas in der klanglichen Interpretation der Mozart’schen Holzbläser-Musik verändert? Gibt es ein „historisch informiert Mozart spielen“?

Man sollte sich bei jedem Komponisten mit dessen Zeit und Epoche beschäftigen. Aber was heißt ‚historisch informiert‘? Sobald etwas als dogmatisch ausgelegt wird, dass dieses oder jenes ‚so und nicht anders‘ geklungen haben soll oder zu klingen hat, ist mir diese Art zu musizieren fremd. Mir ist die Suche wichtiger. Wenn man aufgeschriebene Noten spielt, ist entscheidend: Spiele ich den notierten Text oder spiele ich den Geist dieser notierten Musik?

Gibt es aus Ihrer Sicht ausreichend Literatur für Klarinette in der zeitgenössischen Musik?

Wolfgang Rihm hat mir bereits 12 Stücke geschrieben, Aribert Reimann, Heinz Holliger haben das auch getan, Marc Andre schreibt gerade ein neues Stück für mich. Wir Solisten müssen Komponisten für das Instrument Klarinette faszinieren, nur dann kann es weiter gehen und es werden neue Stücke entstehen.

 

Wenn Diplomat und Publizist Avi Primor im Auto das Radio anschaltet, dann ertönt daraus klassische Musik. Sie begleitet ihn überall. Von 1993 – 99 war er Israelischer Botschafter in Deutschland und gilt seitdem als ein Kenner und Advokat der Völkerverständigung u.a. zwischen diesen beiden Ländern. Primor ist Vorsitzender der Israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Gründer und Präsident des trilateralen Zentrums für Europäische Studien der Universität Tel Aviv.

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Herr Primor, Sie haben erst als Erwachsener die klassische Musik für sich entdeckt. Was war dafür der Auslöser?

Im Alter von 21 Jahren wurde ich im Wehrdienst der israelischen Armee verletzt und musste ich sehr lange liegen. Damals habe ich nur Bücher gelesen, Tag und Nacht, doch meine Augen wurden oft müde. Ein Freund riet mir, Musik zu hören. Er brachte mir einen Schallplattenspieler und viele Platten, die erste davon mit der 5. Sinfonie von Beethoven. Er sagte, ich solle den ersten Satz immer wieder hören, bis ich ihn fast auswendig kann. Dann den nächsten und so weiter. Ich habe mich langsam an die klassische Musik gewöhnt und sie dann monatelang ständig gehört.

Welche Musik hat Ihnen am besten gefallen?

Alles von Mozart hat mir sofort gefallen. Unter seinen Werken gab es für mich überhaupt keinen Vorrang, seine Musik fand ich einfach wundervoll. Mir gefällt auch sehr die Musik und Hector Berlioz und Franz Schubert. Wenn es um Oper geht, liebe ich besonders konzertante Vorstellungen, ohne die Bühnen-Show. Dann kann ich mich besser auf die Musik konzentrieren.

Wie werden Komponisten, die zum deutschen Erbe zählen, wie Mozart oder Schubert, in Israel wahrgenommen? Sind sie durch das unvorstellbare Leid, das den Juden in Deutschland geschehen ist, posthum vorbelastet?

Musik, das ist für die Israelis vor allem Österreich und Deutschland. Der Dirigent Zubin Metha ist seit seinem 27. Lebensjahr künstlerischer Leiter des Israel Philharmonic Orchestra. Als er damals begann, waren alle Musiker deutscher oder österreichischer Abstammung. Es gab keine anderen. Heute spielen auch sehr viele Russen oder Nachkommen der Deutschen im Orchester. Aber die Grundlage der Musik, auch allein vom Repertoire her gesehen, beruht auf dem deutschen Kulturgut – bis heute.

Ist das manchmal schwer zu ertragen, wenn die eigene Familie Opfer des deutschen Völkermordes geworden ist?

Meine Mutter kam 1932 nach Tel Aviv und blieb in Israel, weil sie meinen zukünftigen Vater kennenlernte. Ihre Familie in Frankfurt konnte das nicht verstehen und hat sich mit ihr zerstritten. Das waren große deutsch-jüdische Patrioten, mein Großvater hat im 1. Weltkrieg gekämpft. Die gesamte Familie wurde dann in der Nazizeit ermordet. Meine Mutter war sehr verbittert und wollte von Deutschland jahrzehntelang nie wieder etwas hören. Dennoch war die deutsche Sprache für sie unentbehrlich, auch die Kultur und Musik. Sie sagte, die gehöre nicht den Nazis, sondern allen Musikliebhabern. Besonders von Wagner war sie begeistert und hörte oft Wagner-Opern. »Wenn Wagner Antisemit ist, interessiert mich das nicht, mich interessiert nur seine Musik,« sagte sie. Und es gibt sehr viele in Israel, die so denken.

Wenn es gelingt, klassische Musik so aus ihrem Kontext zu lösen, kann sie dann trotzdem zur Völkerverständigung beitragen?

Ja, weil sie die Sprache ist, die wir alle verstehen. Nach dem Krieg hat uns die Musik als erstes mit Deutschland wieder verbunden. Zuerst hat Zubin Metha diesen Kontakt geknüpft, dann Daniel Barenboim. Das hat sehr viel dazu beigetragen, dass die Beziehungen zwischen Israelis und Deutschen so unproblematisch geworden sind.

Sind Sie dann auch ein Advokat der staatlichen Kulturförderung?

Frieden und Verständigung zwischen Völkern entstehen nicht durch Regierungen, Diplomaten, Beamte oder internationale Verträge. Das sind höchstens Ansatzpunkte. Damit das ausgebaut werden kann, brauchen wir die zwischenmenschlichen Beziehungen und die beruhen auf Kultur. Und das genau wollte man in Israel in den 50er und 60er Jahren verhindern: Es gab ein Gesetz, das jegliche kulturellen Beziehungen zu Deutschland verbot. Man durfte in Israel keine deutschen Filme zeigen, obwohl es eine Nachfrage gab. Heute erinnert sich kein Mensch mehr daran, dass es mal solche Gesetze gab, weil die Realität alles geändert hat. Heute mutet das an wie histoire ancienne.

 

Die Klarinettistin Sharon Kam wurde in Israel geboren, hat in den USA studiert, und gab ihr Konzertdebut nach dem Studium mit dem Israel Philharmonic Orchestra. Heute lebt sie in Deutschland und ist als Solistin weltweit gefragt.

Frau Kam, welches erste musikalische Erlebnis ist Ihnen in Ihrer Erinnerung besonders deutlich geblieben?

Das früheste, an das ich mich erinnern kann, war als ich drei Jahre alt war. Meine Mutter hatte sich als Suzuki-Lehrerin ausbilden lassen, wir lebten in San Diego/Kalifornien. Ich durfte mitmachen, mit einer sehr, sehr kleinen Geige. Mit ganz vielen anderen Kindern habe ich »Twinkle, twinkle, little star« gespielt. Als ich dann mit viereinhalb Jahren nach Israel zurück kam, traf sich meine Mutter,  oft in unserem Wohnzimmer mit Kollegen, u.a. aus dem Israel Philharmonic Orchestra zu Kammermusikproben, von acht Uhr abends bis spät nach Mitternacht. Und wir Kindern lagen in der Hängematte im Wohnzimmer und haben Musik gehört, bis wir eingeschlafen sind.

Hatte Mozart für Sie in Ihrer Kindheit für eine Bedeutung?

Wenn man Klarinette spielt, was ich als Zwölfjährige begann, dann ist Mozart sehr wichtig, er wurde zu einem zentralen Punkt in meinem Repertoire. Aber schon vorher habe ich seine Musik geliebt. Meine Mutter spielte sehr viel Kammermusik von ihm, in allen Formationen.

Hat das Aufwachsen in Israel Ihren Blick auf Deutschland geprägt, als Sie sich später – als 21-Jährige – hier niedergelassen haben?

Die erste richtige Erfahrung, die ich mit Deutschland machte, war der ARD-Wettbewerb. München erinnerte mich sehr an all das, was ich in den alten Filmen aus der Nazi-Zeit gesehen hatte. Die Hochschule ist sogar im ehemaligen »Führerbau« beheimatet. Das war für mich für mich schrecklich, ich wusste nicht, ob ich die Kraft haben würde, hier zu bestehen. Der Ort hatte überhaupt nicht die richtige Aura, um Musik zu zaubern. Ich fühlte mich hier sehr unwohl und wollte auf keinen Fall in Deutschland bleiben.

Wie fanden Sie dann später einen inneren Zugang zu diesem Land?

Ich trat immer wieder in Deutschland auf und lernte dadurch auch meinen Mann kennengelernt. Ich wohnte damals noch in New York. Wir haben sehr viel diskutiert, auch über den Krieg. Damit wir zusammen sein konnten, musste ich nach Deutschland ziehen. Der Alltag hier war ja so anders als in New York! In Hamburg musste man am Samstag bis 13 Uhr entscheiden, was man am Montag frühstücken wollte, weil man inzwischen nicht mehr einkaufen konnte. Überhaupt diese Ruhe, und dass man abends nachhause geht und allein Abendbrot isst. In New York lebt man immer draußen und ist ständig unterwegs. Ich kannte hier niemand und verstand kein Deutsch. Der Kulturschock war immens. Zusätzlich tauchte an jeder Ecke für mich die Frage auf, wer sind diese Deutschen? Sind sie gut für mich? Meine Oma meinte, hier leben keine guten Menschen. Ich musste eine ganz neue Beziehung zu diesem Land für mich finden. Da ich ja in einen Deutschen verliebt war und viele junge Menschen hier kennenlernte, war das zum Glück nicht so schwer

In Israel gibt es viele existentielle Probleme, die Deutschen geht es, auch mit ihrem reichhaltigen, gut subventionierten Kulturleben, sehr gut. Manchmal zu gut?

Die Menge von Orchestern und, dass man hier, wenn man eine Stunde fährt, wieder auf das nächste Opernhaus trifft, hat mich vollkommen fasziniert. Ich fand genial, dass man hier nicht erklären muss, was eine Klarinette ist. In Israel gibt es auch ein wundervolles Publikum und wunderbare Musiker. Doch es ist dort ein Kampf, die klassische Musik zu erhalten. Hier ist sie selbstverständlich. Meine Kinder machen auf einem staatlichen Gymnasium ein Musikabitur. In Israel ist das nur auf einer Spezialschule möglich. Das ändert sich jetzt auch. Aber es ist für mich wunderbar, dass hier die Kultur, die aus Deutschland kommt, auch noch aufrecht erhalten wird. Das ist das Positive, das Deutschland der ganzen Welt zu bieten hat. Daran festzuhalten, so lange es geht, ist wahnsinnig wichtig. Wenn es diese Kultur einmal nicht mehr gibt, wo soll sie dann stattfinden? Sie kommt ja von hier.  

Haben sich die politischen Spannungen in Israel auch auf das dortige Musikleben übertragen?

Nein, im Gegenteil. In Tel Aviv wurde im Sommer die Fledermaus gegeben und der Saal war voll, obwohl geschossen wurde. Auch die ausländischen Musiker sind geblieben und haben mitgewirkt. Alle blieben sitzen und Zubin (Metha) stand auf und hat gesagt: »Heute ist die Musik unser bester Abwehrschirm«. Da haben alle applaudiert. Die Leute wollen ihren Alltag vergessen und die Musik hilft ihnen dabei. Aber es fehlt viel Geld, da das alles in den Militäretat fließen muss. Wenn wir das hätten, wäre viel mehr Kultur in Israel möglich. 

 

Kammersängerin Brigitte Fassbaender stand drei Jahrzehnte lang als gefeierte Mezzosopranistin auf der Bühne, in Opern, Konzerten und Liederabenden. Nun mischt sie sich als Regisseurin und Intendantin u.a. des Richard-Strauss-Festivals weiter in die Musikszene ein. Im Mai ist sie Schirmherrin des 63. Deutschen Mozartfestes.

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 Frau Fassbaender, welches erste musikalische Erlebnis ist Ihnen in Ihrer Erinnerung besonders deutlich geblieben?
Wenn mein Vater zuhause gesungen hat. Ich saß dann immer unter dem Flügel und hörte zu. Ganz besonders eingeprägt hat sich mir Schumanns »Dichterliebe«, die mein Vater zusammen mit seinem Begleiter für Liederabende vorbereitete.

 Was hatte Mozart für Sie in Ihrer Kindheit für eine Bedeutung?
Das war der Leib- und Magenkomponist  der Familie. Mein Vater war einer der berühmtesten Mozart-Sänger seiner Zeit. Ich selbst empfand Mozart als ungemein beflügelnd und beglückend. Ein paar Takte seiner Musik und man war in einer anderen Welt.

 Wann war für Sie klar, dass Sie Profimusikerin zu werden?
Meine Stimme habe ich schon als Kind entdeckt. Sie klang anders als sonst die Kinderstimmen. Aber dann habe ich das wieder in mir vergraben. Ich wollte es nicht wahrhaben, das war ein ganz merkwürdiger Prozess. Es brach sich erst wieder am Ende der Schulzeit Bahn. Da kam der Wunsch, auszuprobieren, was da gewachsen war: eine Stimme, die berechtige, diesen Beruf zu versuchen. Mein Vater, der auch mein Lehrer wurde, war glücklich, dass damit dieser wunderbare, aber schwere Beruf – diese Berufung – in der Familie weiterging.

 Was ist schwerer beim Musizieren: anfangen oder aufhören?
Es ist spannend und herausfordernd, anzufangen und es ist befreiend und erleichternd, aufzuhören. Es kommt ganz darauf an, in welcher Stimmung und Atmosphäre man ist.

 Welches ist Ihr musikalischer Lieblingsort?
Die Wigmore Hall und das Covent Garden Opera House in London. In beiden habe ich am liebsten gesungen, weil dort das beste und klügste Publikum ist. Das wohlerzogenste, disziplinierste, gleichzeitig wohlwollendste und kenntnisreichste. 

 Wenn Sie Wolfgang Amadé Mozart gewesen wären, was hätte Ihnen am besten daran gefallen?
Wahrscheinlich gar nichts. Mozart hatte ein schweres Leben, es war ein Tanz auf dem Vulkan. Die Herausforderungen, denen er gegenüber stand und seine Genialität, die sicher für ihn auch spürbar war, das hätte mir gefallen. Aber nicht diese schweren Lebensbedingungen, die schwere Kindheit, mit vielen Krankheiten und Sorgen, und die ungeheure Hektik. Der kam ja gar nicht zu sich selber, außer im Musizieren. Er hatte ein unglaublich erfülltes Leben, was wunderbar ist, aber leben hätte ich es so nicht wollen.

 Welche Musik berührt Sie am tiefsten?
Die Musik von Franz Schubert ist die große Liebe meines Lebens. Sie löst ein immenses Staunen in mir aus – über so viel Schöpferkraft und Schöpferfreude. Sein Liedschaffen insbesondere und seine Kammermusik sind unerschöpfliche Quellen unbegreiflicher Entdeckungen. Schubert ist weit über seinen Zeitgeist hinausgewachsen. Er kommt aus der Klassik und weist ganz stark in den Expressionismus. Ein anderer Komponist, dessen Musik mich tief berührt und beglückt, auch in ihrer handwerklichen Perfektion, ist Richard Strauss. Seine Musik ist mir sehr nah.

 Was würden Sie gern musikalisch noch erleben?
Eine Revolutionierung und ein Wiederaufblühen der Liederabende, und das Mitgehen des Publikums dabei. Ich würde die Steifheit und das Zelebrieren der Kunst abschaffen. Es sollte etwas Selbstverständliches sein, das dem Menschen in einem Dialog zwischen Sänger und Publikum ganz nahe gebracht wird.

 Lieben Sie schnelle Autos?
Früher habe ich sie sehr geliebt, auch ihr Design. Ich fuhr einen Mercedes 220 Sportcoupé. Mein Vater war zeitweiser Porschefahrer. Inzwischen kann man ja nicht mehr schnell fahren, da finde ich es immer etwas albern – wenn man in so einem Auto mit 130 km/h dahintuckern muss.

 Haben Sie sich als Sängerin schon mal so gefühlt wie ein Rennfahrer auf der Rennstrecke?
Ja natürlich! Singen ist ein Hochleistungssport und verlangt dieselbe Konzentration, wie sie ein Rennfahrer,  Spitzenreiter oder Spitzenfußballer aufbringen muss. Da geht es immer um‘s Ganze.

 

Die Welt kennt Adrian Sutil eigentlich nur im Cockpit von rasanten Autos. Doch der Formel1-Rennfahrer hätte eigentlich genauso gut am Klavier durchstarten können. Sein Vater gehörte den Münchner Philharmonikern an, seine Mutter war Pianistin und auch er selbst stand schon als Kind vielfach auf der Bühne. 

 Herr Sutil, an welches frühe musikalische Erlebnis können Sie sich besonders gut erinnern?
Im Alter zwischen vier und zwölf Jahren hab ich am meisten musiziert, mit sechs Jahren stand ich zum ersten Mal auf der Bühne. Sehr deutlich in Erinnerung geblieben ist mir zum Beispiel ein größerer Auftritt damals vor mehreren hundert Leuten. Als kleiner Junge hat man da auch mal etwas nervöse Hände. Da musste ich mich beruhigen, alles hinkriegen, durfte keinen Fehler machen. Und das ist ganz ähnlich zu dem, was ich jetzt mache in der Formel 1. Da ist Präzision gefragt. Man hat dann halt eine Chance: Eine Stunde, in der man das, was man kann, zu 100 % zeigen muss. Es war mit sehr viel Arbeit und Disziplin verbunden, das Klavierspiel so zu erlernen. Aber es war eine schöne und besondere Zeit.

 Sie hatten damals sogar vor, Profimusiker zu werden. Warum haben Sie doch eine andere Laufbahn eingeschlagen?
Als ich dreizehn war, kam die Idee, mit dem Rennsport anzufangen. Das Klavier war da ein wenig langweilig geworden. Ich brauchte diesen Adrenalinkick. Zuerst habe ich mit dem Cart-Fahren angefangen und das war genau mein Ding. Das war auch sehr professionell und etwas, das sehr viel Gefühl und Disziplin erfordert. Und ich bin ein sehr wettbewerbsfähiger Mensch, ich möchte mich sehr gern messen mit anderen und brauche diese Herausforderung jeden Tag. Im Gegensatz zum Klavier, wo es mir schwerfiel, zwei bis drei Stunden auf dem Stuhl zu sitzen und zu üben, wollte ich aus dem Go-Cart gar nicht mehr raus.

 Was ist schwerer für Sie – beim Rennfahren beeziehungsweise beim Musizieren – anfangen oder aufhören?
Beim Rennfahren ist eher das Aufhören schwierig. Das ist wie eine Droge. Zum Anfangen brauche ich da keine Überwindung. Ich bin der erste, der in ein Auto einsteigt und versucht, es bis ans Limit zu bewegen. Mit der Musik konnte ich eben aufhören. Da hab ich mal eine Stunde geübt und das reichte mir dann auch. Das ist der Grund, warum ich Rennfahrer geworden bin und nicht Pianist.

 Haben Sie einen musikalischen Lieblingsort oder einen Ort, den Sie besonders mit Musik verbinden?
Der einzige Ort, den ich wirklich mit Musik verbinde, ist mein Zuhause in Gräfelfing. Oder auch die erste Zeit, als wir in Herrsching am Ammersee gelebt haben, weil wir damals am meisten Musik gemacht haben.

 Welches musikalische Ereignis würden Sie gern einmal erleben?
Ich geh gerne mal in die Oper, ins Theater oder ins Konzert. Ich war früher natürlich häufig bei den Münchner Philharmonikern und hab dann auch meine Eltern spielen sehen. Ich war ein kleiner Junge und saß im Saal und wollte eigentlich lieber wieder raus und spielen gehen. Es wird Zeit, dass ich wieder einmal zu den Münchner Philharmonikern gehe, denn meine Stiefmutter ist da zur Zeit immer noch aktiv.  

 Sind Sie auch beim Musizieren gerne schnell?
Ich spiele sehr gerne schnell und ich kann das auch ganz gut. Meine Finger sind sehr flink. Aber manchmal spiele ich auch gern langsam, ein bisschen verträumt. Man braucht vor allem sehr viel Gefühl und je nach Stimmung kann man ja entsprechend spielen. Ein paar Stücke kann ich immer noch gut und das genieße ich dann auch. Das erinnert mich an meine Kindheit und ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Es ist auf jeden Fall etwas, worauf ich stolz bin. Ein Instrument zu spielen ist etwas besonderes und besonders Klavier ist eines der schönsten Instrumente.

 Gibt es für Sie Ähnlichkeiten zwischen dem konzentrierten Musizieren und dem Absolvieren einer Rennstrecke?
Es gibt schon Ähnlichkeiten: diese Präzision, die Disziplin. Wenn man beim Rennen einen kleinen Fehler macht, entscheidet das über Sieg oder Niederlage. Dasselbe passiert beim Klavierspielen auf der Bühne: Jeder hört jeden Fehler. Wenn man eine Taste falsch trifft, ist das ganze Stück versaut und man hat eben nicht alles rausgeholt. Und diese Perfektion ist das Entscheidende – in beiden Disziplinen.

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